Viele verschiedene Ereignisse können eine Belastung für den Menschen sein. Selbst Lebensereignisse, auf die wir uns eigentlich freuen. Zum Beispiel heiratet ein junges Paar, bekommt sein erstes Baby und die Frau hat Mühe, sich mit ihrer neue Rolle als Ehefrau und Mutter zu identifizieren. Oder ein Mann hat Zeit seines Lebens viel Engagement in seinen Beruf gesteckt, war der „Ernährer“ und ist nun zu Hause und endlich berentet, worauf er sich eigentlich so sehr gefreut hat. Aber plötzlich weiß er nichts mit sich anzufangen, fühlt sich nutzlos, wertlos und wird darüber schwermütig und depressiv. Wenn wir uns Situationen nicht gewünscht haben und uns nicht auf sie vorbereiten konnten, werden kritische Lebensereignisse noch verstärkt. Sich an die neue Situation anzupassen, ist dann oft nur mit großer Mühe möglich.
Lebensereignisse wie der Verlust eines Arbeitsplatzes, eine Trennung vom Partner, eine Scheidung, Verluste von nahen Angehörigen, Todesfälle, die Demenzerkrankung der Mutter, vielleicht auch schwerwiegende Strukturveränderungen im beruflichen Umfeld oder auch der Tod des Hundes, der einen die letzten Jahre treu begleitet hat, können Belastungsreaktionen auslösen. Je nachdem wie Menschen mit ihren Erfahrungen und Stärken aufgestellt sind und in ein soziales Netz, in Familie und Beruf oder in andere erfüllende Aktivitäten eingebunden sind, können Lebensereignisse als Herausforderung oder als Überforderung erlebt werden. So kann es zu den sogenannten Anpassungsstörungen kommen, die oft in der Diagnose einer Depression oder Angststörung münden.
Ereignisse wie das Zugunglück von Eschede oder der Amoklauf in einer Schule in Erfurt, die plötzlich und unerwartet über uns hereinbrechen, führen eher zu akuten Belastungsreaktionen. Hier betrifft das Grauen sowohl direkt Beteiligte, aber auch diejenigen, die angefordert werden, um zu helfen (Feuerwehr, Sanitäter, freiwillige Krisenhelfer etc.). Auch Menschen, die von einem Auto angefahren oder auf der Straße angegriffen werden, die unerwartet eine Krebsdiagnose erhalten oder die Diagnose einer anderen chronischen oder sogar lebensbedrohlichen Erkrankung, sind betroffen. Auch Zeuge von Unfällen oder Gewalt zu sein, kann zu einer akuten Belastungsreaktion führen. Hilflos zuschauen zu müssen oder Schreckliches zu erfahren ohne Einfluss nehmen zu können, kann ebenfalls belastend oder sogar traumatisierend sein (sekundäre Traumatisierung). Besonders wenn die Ereignisse lebensbedrohlich sind, erzeugen sie einen extrem hohen Stresslevel und überfordern unser Nervensystem.
Eine akute Belastungsreaktion beschreibt ein kurzfristiges Erstarren, eine Art Schockzustand und möglicherweise ein starkes Zittern, meist erst nachdem die Situation schon vorüber ist. Menschen sehen dann wiederholt die Bilder des Schreckens, hören Geräusche aus der Situation, können nicht abschalten, denken oft daran und können vielleicht zunächst nicht schlafen. Menschen haben hier verschiedene Mechanismen, um diese Art von Erlebnissen zu „verkraften“. Wo der eine dringend etwas Ruhe benötigt und zunächst etwas in sich gekehrt ist, braucht ein anderer unbedingt jemanden zum Reden, um dem Nervensystem die Gelegenheit zu geben, sich zu orientieren und das Ganze möglicherweise irgendwie verstehbar, begreifbar und bewältigbar zu machen. Eine akute Belastungsreaktion ist eine völlig normale Reaktion unseres Organismus auf überwältigende Erlebnisse und Erfahrungen. Wenn alles gut geht, klingt sie nach ein paar Tagen oder Wochen wieder ab und wir können beginnen, das Schreckliche zu integrieren und einzuordnen.
Was aber, wenn dies nicht gelingt? Was aber, wenn diese Erfahrung „unbeschreiblich“, das Schreckliche „unsagbar“ ist und ich beginne mich zurückzuziehen, an der Welt und an mir zu verzweifeln? Dann könnte eine Posttraumatische Belastungsstörung die Folge sein.
Wenn eine traumatische Erfahrung gut verarbeitet werden kann, dann beruhigt sich das System. Auch wenn die Erinnerungen an die traumatische Situation Betroffene vielleicht immer wieder erschüttern, sind die Reaktionen aber nicht mehr so stark vegetativ, also weniger körperlich.
Bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung bleiben die Symptome der akuten Belastungsstörung bestehen oder verschlimmern sich mit der Zeit sogar. Allerdings kommt es auch häufig vor, dass betroffene Menschen zunächst wieder zu einer gewissen Form von Normalität gelangen, obwohl in der Tiefe das Ereignis noch unverarbeitet geblieben ist. Sie funktionieren wieder, können am Alltag teilnehmen wie zuvor und nach außen scheint alles in Ordnung zu sein. Im Inneren arbeitet der Organismus aber unter Höchstleistungsbedingungen, um mit dem Schrecken der traumatischen Situation umzugehen. Das Angstzentrum ist in ständiger Alarmbereitschaft und sorgt dafür, dass unser Nervensystem in Höchstspannung versetzt wird, sobald nur Kleinigkeiten an die traumatische Situation erinnern. Da genügt ein Schatten, ein Geruch, eine Bewegung oder ein Bild und schon reagieren unsere Nerven, als ob die Bedrohung noch heute akut wäre. Betroffene sind insgesamt wesentlich schreckhafter, sind häufiger schnell erregbar, reagieren gereizt und aggressiv gegenüber Partnern oder der Familie. Sie fühlen sich nicht mehr so belastbar wie früher. Zum Teil entstehen Schuldgefühle, weil sie sich für ihre mangelnde Geduld und die Wutausbrüche verurteilen. Sie beginnen an sich zu zweifeln und erwarten, dass sie gut funktionieren müssten. Viele versuchen durch Kontrollverhalten die unterschwelligen Ängste im Zaum zu halten, werden pedantischer und verlieren an Flexibilität. Fast immer treten Konzentrationsstörungen auf und das Gedächtnis leidet. Solange die gesamten Rahmenbedingungen Stabilität gewährleisten, können die Betroffenen einigermaßen gut leben. Wenn jedoch die Alltagsbelastung zunimmt oder Ereignisse auftreten, die das Trauma reaktivieren oder belastende Lebensereignisse eintreten, kann die mühsam errungene Alltagstauglichkeit wie ein Kartenhaus zusammenbrechen.
Oft treten schwere Schlafstörungen auf unter anderem weil Menschen sich vor den Alpträumen fürchten (Intrusionen). Sie reagieren hochsensibel, sind leichter erregbar und schreckhaft (Hyperarousel). Sie reagieren wie ständig auf dem Sprung, fühlen sich schnell bedroht, können sich kaum erholen und entspannen und sind immer in Alarmbereitschaft. Mancher entwickelt eine erhöhte Sensibilität gegen Geräusche (Hyperakusis), die meisten ziehen sich von ihrem Umfeld zurück, fühlen sich schnell an der Grenze ihrer Belastbarkeit und leiden unter diversen spezifischen oder unspezifischen Ängsten. In der Konsequenz versuchen sie alles zu vermeiden, was Stress erzeugt. Bahnhöfe, Menschenansammlungen, die Schule, Ärzte, Leistungssituationen. Betroffenen können häufig selbst nicht genau einordnen, was mit ihnen passiert, warum sie plötzlich so reagieren. Eine Reaktion kann auch sein, das Umfeld zu kontrollieren und zu manipulieren, um größtmögliche Sicherheit herzustellen. Das ist umso schwerer auszuhalten, weil das Umfeld oft nicht weiß, worunter der Betroffene leidet.
Einsatzkräfte nationaler oder internationaler Behörden (z. B. Polizei, Rotes Kreuz, THW, Bundeswehr, NATO, Ärzte ohne Grenzen, Greenpeace) und Organisationen (z. B. UNHCR, Internationale Atomenergiebehörde, OSZE) sind häufig entweder einer direkten Bedrohung ausgesetzt oder sie müssen mit den Folgen von Gewalt arbeiten. Dabei erleben sie menschliche Tragödien oder konflikthafte Spannungen von erheblichem Ausmaß. Wenn die Erlebnisse keine direkte Lebensbedrohung darstellen, aber einem die direkten Folgen von Trauma nahe gehen, können Symptome auftreten, die der Posttraumatischen Belastungsstörung oder anderen Folgestörungen ähneln. Wir sprechen dann von einer Sekundärtraumatisierung mit der entsprechenden Indikation für eine Traumabehandlung.
Die Folgeerkrankungen in der Verarbeitung traumatischer Situationen können vielschichtig sein: Sie reichen von den „klassischen“ Belastungsstörungen bis hin zu Somatisierungsstörungen, psychosomatischen Erkrankungen, Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen, stofflichen Abhängigkeiten, Essstörungen oder Persönlichkeitsstörungen. Die Mehrzahl der Borderline-Störungen sind vermutlich auf eine Traumatisierung in der Kindheit oder Jugendzeit zurück zu führen.
Jede traumatische Symptomatik lässt sich erklären und wird verstehbar, wenn man die psychischen und körperlichen Vorgänge untersucht. Bei all den oben beschriebenen Zuständen handelt es sich um absolut normale und nachvollziehbare Reaktionen auf extrem emotional belastende Situationen, also auf überwältigenden Stress. In diesen Situationen reagieren wir mit den typischen Versuchen das Leben zu sichern. Schon allein dies ist häufig eine große Entlastung: „Ich bin nicht verrückt“.
Wichtig bei den verschiedenen Traumata ist, zwischen einem einmaligen Schocktraumata oder anhaltender Bedrohungs- und Übergriffssituationen zu unterscheiden. Wenn Entwicklungstraumata zu Grunde liegen, also möglicherweise schwere Vernachlässigung, Verlust-oder Trennungserlebnisse, Gewalterfahrungen in der frühen Kindheit, so kann dies allein ein Grund für die Entwicklung einer PTBS sein oder eine schwere Belastungssituation oder ein zusätzliches Schocktrauma löst später die Symptomatik aus. Heute wissen wir aber auch, das generationsübergreifend Traumata nachwirken. Viele Menschen, die in Therapie kommen, erleben, dass die Kriegserfahrungen ihrer Eltern und Großeltern in ihnen Reaktionen ausgelöst haben, die zu einer Traumasymptomatik führen.
Die Behandlung in der Psychosomatischen Privatklinik Bad Grönenbach richtet sich nach einem umfassenden Konzept mit einem zertifizierten Traumaverfahren (EMDR, PIT, NET, KREST). Es findet in Kombination mit körperorientierter Traumabehandlung (Somatic Experience, Traumakörpertherapie) in einem haltgebenden und vertrauensvollen therapeutischen Kontext statt.
Zunächst ist eine genaue Diagnostik erforderlich, die jedoch schonend und achtsam erfolgen sollte, um nicht die ganze Wucht der traumatischen Erlebnisse sofort zu reaktivieren. Die therapeutische Beziehung, der Kontext und die respektvolle Haltung spielen in der Behandlung eine große Rolle. Gerade die Partizipation und der Konsens mit dem Patienten ist für jeden therapeutischen Prozess essentiell. In einem ersten Schritt ist abzuklären, dass kein „Täterkontakt“ mehr besteht, sodass es sowohl in der Behandlung als auch im häuslichen Umfeld einen sicheren Ort gibt. Dies ist natürlich schwierig für Menschen, die aus Krisengebieten kommen und möglicherweise auch wieder dorthin zurückgehen.
Zentral ist die Psychoedukation. Betroffene sollten verstehen, woher die Symptome kommen und wie Traumata verarbeitet werden können, damit sie orientiert sind und die Folgen einordnen können. Hierdurch wird erreicht, dass sich betroffene Menschen weniger „falsch“ oder „verrückt“ fühlen. Hilfreich ist, wenn sie sich weniger schämen müssen und vielleicht sogar Achtung und Dankbarkeit ihrem Körper und ihrer Seele gegenüber empfinden, dass sie überlebt und die Schrecken in sich getragen haben.
Die sogenannte Stabilisierung bezieht sich darauf, eigene Ressourcen ausfindig zu machen. Was hat bisher geholfen und was kann zielgerichtet oder modifiziert weiter angewendet werden? Welche fehlgeleiteten Bewältigungsversuche können entlarvt werden und welche neuen Mechanismen führen zu einer besseren Selbstregulation? Dazu gehören Distanzierungsmethoden (wieder ins Hier und Jetzt und zu neutralen bis wohlwollenden Bezügen zurückkehren), Körperübungen (Erdung und Einbeziehung aller Sinne, Kraft spüren), Imaginationen (wie sie in der Traumatherapie inzwischen immer eingesetzt werden: „sicherer Ort“, hilfreiche Helfer“, „heilendes Licht “ u. v. m.).
Wenn Betroffene sich auch in schwierigeren Situationen selbst regulieren können, ohne auf selbstschädigende Kompensationsmechanismen zurückzugreifen, dann kann und sollte eine „Traumakonfrontation“ durchgeführt werden. Hier können wir auf verschiedene Methoden zurückgreifen: EMDR, PIT, Krest, „Inneres-Kinder-Retten“ oder Somatic Experiencing. Welche Methode die richtige sein kann, wird gemeinsam mit dem Patienten überlegt und entschieden. Bei dieser Entscheidung ist wesentlich, ob es sich um ein Schocktrauma und/oder ein Entwicklungstrauma handelt, mit oder ohne Bindungsstörungen.
Die Körpertherapie ist ein großer Schwerpunkt, da der Körper häufig sehr verletzt ist und oft die seelischen Schmerzen und Wunden speichert (Körpergedächtnis). Im Körper ruhen aber auch die große Chance und das Geschenk, sich mit sich zu versöhnen, den Körper wieder positiv zu erleben und mit seiner Hilfe auch ein breites Spektrum an Möglichkeiten für Selbstregulation und Selbstberuhigung zur Verfügung zu bekommen. In diesem Prozess wird sehr behutsam und individuell vorgegangen.
Das weit verbreitete Konzept der Teiletherapie oder auch „Ego-State-Therapie“ ist hilfreich dabei, sich selbst mit den verschiedenen Rollen und Anteilen zu verstehen, die durch das Trauma voneinander getrennt und unverbunden nebeneinander ihr Eigenleben führen. Während ein Teil furchtbare Angst hat, kann ein anderer Teil durchaus auch kräftig und entschlossen bleiben und sich um den furchtsamen Anteil kümmern. Menschen können lernen, ihre Gefühle zu beobachten und sich weniger von ihnen hin- und herwerfen zu lassen. Der Ansatz hilft bei der Selbstregulation, Selbststeuerung und der notwendigen Distanzierung.
Während dieses gesamten Prozesses und auch danach finden Integration und Neuorientierung statt. Die eigenen Grenzen zu schützen, aber auch mit den vielfältigen Möglichkeiten dieser Welt konstruktiv umgehen zu können, stellt einen wichtigen Bestandteil der Therapie dar. Zu lernen, sich selbst trotz oder vielleicht gerade wegen der Wunden und Narben liebevoll und achtsam sowie voller Respekt zu begegnen, gehört ebenfalls zum Abschluss der Therapie.